Mir steht der Sinn jedoch wie jedes Jahr nach einem „Küchenhasen“, mit der kleinen Kugel mit sauberem Schuss gestreckt, küchengerecht eben, ganz Eigennutz und damit auch Teil eines sich wiederholenden Rituals. Dazu gehört Abschied nehmen vom Jagdjahr, auch wenn dieses sachlich erst am 31. März endet. Doch zurück zu den Hähern, die inzwischen lauthals schimpfend abgestrichen sind und leisen Schrittes den Pirschsteig entlang zu dem kleinen Leitersitz an der alten Eiche. Mit urigen Eichenschwarten verkleidet bietet der von einem kleinen Dach behütete Sitz in gut drei Meter Höhe nicht nur beste Übersicht über die zwischen zwei kleinen Waldstreifen liegende Lichtung und einen angrenzenden Ackerrand, sondern auch Schutz vor dem kühlen Ostwind, der sich ins nebelige Treiben mischt. Gemütlich eingeschoben und in knö- chellangem warm gefüttertem Loden bestens behütet überlasse ich mich dem aufkommenden Spätnachmit- tag, heißer Kaffee inklusive. Die alte verbeulte Edel- stahlthermoskanne hat manches Abenteuer hinter sich und ist ein altbewährter Begleiter. Der guten Ordnung halber und zur Vollendung eines besinnlichen Hasen- ansitzes gesellt sich ein leckeres Käsebrot zum Kaffee, während die .222 Remington Büchse auf der Ablage vor mir ruht und auf ihren Einsatz wartet. Leichter Wind ist aufgekommen und küselt um Bäume, Büsche und Waldrand herum. Mein Platz ist allerdings gut geschützt und so ist kaum damit zu rechnen, dass der Wind meinen Geruch in empfind- liche Wildnasen weht. Unter mir rascheln vom Herbst verwehte Blätter unter den leise tippelnden Füßen der Waldmäuse, die es sich im Wurzelwerk der alten Eiche gemütlich gemacht haben. Links am Rand der Wiese wiegen sich die langen befiederten Stängel des Adler- farns im Wind. Irgendwo fernab im Holz schreckt kurz ein Reh, schimpft über irgendeine Störung in seinem Lebensraum, dann kehrt wieder Ruhe ein. Ich erinnere mich noch gut an den Überläufer, der Anfang September sein borstiges Wildschweinkleid etwas zu sorglos aus dem Adlerfarn schob und sein Leben im Schussknall aushauchte. Nur ein kurzes Schlegeln mit den Läufen, dann war es vorbei. Noch einmal wandert mein Blick zu dem mannshoch gewachsenen Adlerfarnhort, als ein brauner Fleck, der dort nicht hingehört, meine Aufmerksamkeit fesselt. Nicht etwa, weil der Fleck braun ist, sondern weil er sich bewegt. Nicht zum ersten Mal muss ich re- gistrieren, dass sich ein Stück Wild völlig unbemerkt eingestellt hat. Wie von Zauberhand in die Landschaft geworfen, ist Mümmelmann am Rand des Farns auf- getaucht, zeigt mir seine weiße Blume, während er of- fensichtlich bemüht um Unauffälligkeit an den Blatt- spitzen einiger Gräser knabbert. Mir soll es wohl recht sein mein Freund, wenn du unbekümmert tust. Ganz langsam schiebt sich der Lauf der .222-er über die lin- ke Brüstungskante meines Sitzes. Der Blick durch das Glas macht es deutlich. Das Langohr ist kein Halbhase aus dem Sommer oder ein Dreiläufer aus einem frühen Märzhasensatz mehr, hat die vier Kilo Marke sicher erreicht und dürfte damit auch in der Küche eine gute Figur machen. 61 Wildes Schleswig-Holstein Nur drehen musst du dich noch ein wenig, Seite zei- gen, damit das Geschoss Leben findet und Hasenda- sein aushaucht ohne Schmerz und Schrecken. Ja, so passt das mein Freund, noch einen kleinen Hoppler, dann - meine Gedanken schweifen ab. Der Duft schmalzschweren Apfelrotkohls mit dem Saft von Fliederbeeren aus dem Revier verfeinert, ein we- nig Zimt schwebt mir über den Gaumen, von irgend- wo aus weiter Ferne weht ein Wachholdergruß hinein. Warte Freund, jetzt aber, das Absehen Vier fasst Le- ben, der Blick durchs Zielfernrohr zeigt noch einmal klaren, wachen Blick, wandert über den tiefen Schmiss im rechten Löffel, lässt mich innehalten in meinem Schwelgen. Bist du das, Mümmelmann? Bist du der aus dem letz- ten Frühjahr, der dem blitzschnell heranschießenden Habichtsweib mit einem Riesensatz entkommend und todesverachtend mit den Vorderläufen das Brustge- fieder zerrauft hat, nur um dann in höchster Schuss- fahrt durch den Winterweizen und den nahen Knick zu entkommen? Ich kann mich noch gut an das sich völlig verdattert überschlagende starke Greifenweib erinnern, die sich erst einmal mit einigen Schaukel- schritten wie ein trunkener Rabe von dem Fehlgriff in ein allzu langes Hasenohr und dem Angriff der an- visierten Beute erholen musste. Erfrischend war es anzusehen wie mit der Selbstver- ständlichkeit eines erfahrenen Althasen ausgestattet im Januar die beiden Jungschnösel büschelweise Wolle verlieren und feststellen mussten, das die hübsche jun- ge Hasendame am alten Moorgraben zumindest dieses Jahr wohl noch nicht zum verdienten Objekt ihrer Begierde zur Hasenhochzeit zählen würde. Und irgendwie musst du es geschafft haben den feinen Nasen der Heidewachteln, Münsterländer und Draht- haar Hunde im Treiben der letzten Jagd mit Treibern, Hunden und Hörnerklang zu entgehen, dich tief und fest gedrückt oder rechtzeitig mit langen Fluchten oder dich leise davonschleichend entzogen haben. Recht so mein langohriger Freund, gut gemacht. Nur mir kommst du heute vor die Büchse, schmeckst mit vibrierenden Schnurrhaaren den Duft deiner kühlen Umgebung, hoffst dass kein Fuchs, kein hungriger Uhu über dich herfällt und ahnst nicht, das kaltes Eisen darauf wartet glutheiß aus stählernem Lauf geschleudert zu werden und Hasenleben nehmen will. Nicht einmal das feine leise Zurückschnappen des Stechers dringt an dein Hasenohr, das sonst einer in ferne Galaxien horchenden Richtantenne gleichend vier- und zweibeinige Jäger gleichermaßen enttarnend für ein langes Hasenleben sorgt. Nun mein Freund, ich denke so soll es für heute bleiben. Vielleicht bis zu einem anderen Tag. Heute lass uns Hasensilvester feiern, ganz ohne Kalender und im Zwiegespräch mit einem reichen geteilten Leben an einem kühlen De- zembernachmittag.